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Reproduktionsarbeit oder die Macht des Lappens

Reproduktionsarbeit umfasst alle unbezahlte Arbeit, die Menschen tagtäglich leisten, um unser Leben und die Gesellschaften aufrechtzuerhalten. Dazu gehören Aufgaben wie Kinderbetreuung, Hausarbeit und Pflege von Angehörigen. Sie unterscheidet sich von der sogenannten Care-Arbeit, die sowohl bezahlte als auch unbezahlte pflegende Tätigkeiten umfasst. Reproduktionsarbeit ist wichtig, weil sie dazu beiträgt, unsere Gesellschaft am Laufen zu halten und die nächste Generation heranzuziehen. Ein besonders anschauliches Beispiel zeigt Extra 3 am 25.1.2023: Ein öffentliches Klo in Köln stinkt so sehr, dass die Gäst:Innen eines Imbiß diesen verlassen. Ohne reproduktive Arbeit stinkt es bei uns.

In vielen Gesellschaften wird reproduktive Arbeit unterschätzt und unzureichend bezahlt, was zu Benachteiligungen von Frauen und anderen Gruppen führen kann, die am meisten diese Arbeit leisten. Dazu gehören bspw. die Müllabfuhr, die so erfolgreich in New York streikte, dass die Stadt heute ihre Müllabfuhr auffällig gut bezahlt. Oder der berühmte “Frauen-Ruhetag” am 24.10.1975 in Island, bei dem es u.a. um bessere Kinderbetreuung geht.

Die Wirtschaftskraft Reproduktiver Arbeit

In meiner Zeit in Lützerath waren Spülen und Klo-Putzen die unbeliebtesten Arbeiten. Aber wie lange kann eine Gruppe, eine Organisation, eine Gesellschaft ohne sie bestehen? Wer will irgendwo sein und wohnen, wo es nach Urin stinkt oder sich der Schimmel auf den benutzten Tellern ausbreitet? Reproduktionsarbeit ist essentiell für unsere Gesellschaft, für all die Errungenschaften unserer Zivilisation.

Wie stark unsere Gesellschaft von Reproduktionsarbeit abhängt, zeigt sich in der Wirtschaftsleistung dieser Arbeiten. Caroline Criado Perez beschreibt in ihrem Buch “Invisible Women”, dass ein Großteil des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der letzten 50 Jahre darauf beruht, dass Frauen Berufe aufnehmen und daher für die Arbeit zahlen müssen, die sie bisher selbst gemacht haben. Bspw. wenn wir Fertigessen kaufen, statt zuhause von Ehefrauen kostenlos bekocht zu werden. Schätzungsweise würde das deutsche BIP um grob 50%-80% steigen, wenn Reproduktionsarbeit korrekt und gleichberechtigt eingepreist würde.

Katapult rechnet vor, dass Frauen im Jahr 2019 global über 10 Billionen Euro mehr hätten erhalten können, wenn sie für unbezahlte Arbeit nur den Mindestlohn bekommen würden. Zum Vergleich, das BIP Deutschlands lag 2018 bei etwa 3,4 Billionen Euro. Frauen dürfen also fast dreimal so viel Geld extra bekommen, wie Deutschland insgesamt produziert. Und selbst innerhalb von Deutschland ist die Gleichberechtigung stark unterschiedlich. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung zeigt: In NRW, Mecklenburg Vorpommern und Brandenburg ist die Gleichstellung sehr viel besser, als bspw. in Rheinland Pfalz und Schleswig Holstein.

Was tun?

Es gibt viele Möglichkeiten reproduktive Arbeit in unserer Gesellschaft angesehener zu machen:

1. Sensibilisierung: Informiert euch. Redet mit den Leuten um euch herum, die reproduktive Arbeit leisten. Findet heraus, welchen Problemen und Herausforderungen diese Personen bei der reproduktiven Arbeit gegenüberstehen. Teilt euer Wissen und sprecht die Bedeutung reproduktiver Arbeit an.

2. Fördert Gleichstellung: Unterstützt Maßnahmen, die die Gleichstellung von Frauen und Männern in Bezug auf Arbeit und Familie fördern, wie zum Beispiel verbesserte Karrierechancen für Frauen, die wegen Elternzeit lange reproduktive Arbeiten liefern.

3. Finanzielle Unterstützung: Unterstützt Initiativen und Organisationen, die sich für verbesserte Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung für reproduktive Arbeit einsetzen.

4. Veränderungen im Privatleben: Verteilt die Arbeiten im Haushalt und die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen gleichmäßig unter allen Familienmitgliedern. Setzt euch dafür ein, dass diese Arbeiten als wertvoll und notwendig anerkannt werden.

5. Politischer Einfluss: Verschafft eurer Stimme bei Wahlen und politischen Kampagnen Gehör, um gesetzliche Maßnahmen zu unterstützen, die die Anerkennung und Finanzierung von reproduktiver Arbeit verbessern. Konservative Parteien unterstützen solche Maßnahmen im Allgemeinen leider nicht.

Und v.a.: Hört zu. Gerade die Menschen, die reproduktive Arbeit leisten, sind oft die am wenigsten gehörten in unserer Gesellschaft. Und doch haben sie uns viel zu sagen.

Weiterführendes

Ich danke Sarah Kipp für Gedankenanstöße zu diesem Artikel. Ihr könnt mehr über ihre Arbeit in ihrem Podcast “Flensburgs Utopienwerkstatt” hören.

Weiterführende Texte findet ihr bspw. hier:

Dank geht auch raus für die Hinweise dazu, aus welchem Blickwinkel und mit welchen Privilegien ich hier so schreibe. Mehr dazu erfahrt ihr hier.

Published inAktivismus

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