Wir sind alle da. Es ist einfach richtig schlimm. Leute, die ich zwanzig Jahre nicht gesehen habe, kommen vorbei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Alle sind schwarz gekleidet, schauen bedrückt drein. Wir gehen in den Trauersaal. Es ist still, leise.
Der Trauerredner tritt vor. “Werte Trauernde. Ein besonderer Mensch ist von uns gegangen. Er hat einen finalen Wunsch geäußert. Dieser Wunsch ist sehr ungewöhnlich. Sie alle kennen ihn und werden sich daher wahrscheinlich nicht sehr wundern. Es ist aber doch ungewöhnlich.” Mit großer Gravitas geht er zur Musikanlage, drückt ein paar Knöpfe. Nickt. Dreht sich um und blickt uns erwartungsvoll.
Ein leises Geräusch geht los, wird mehr, wird schneller, elektronische Töne treffen uns und nach nicht mal 30s werden wir mit einem basslastigen Trancelied beschallt. Aus einem Seitenraum huschen drei Menschen hervor und beginnen zur Musik zu tanzen. Mama fängt an zu lachen, während sie weiter weint. Mein Onkel schüttelt seinen Kopf und versenkt sein Gesicht in den Händen. Wir Enkelinnen grinsen schräg, mein Sohn fängt zum Rhythmus der Musik an mitzuwippen.
Das Lied endet, die Tänzerinnen verlassen den Raum. Die Menschen murmeln miteinander und der Trauerredner tritt wieder vor. Er ringt kurz selbst noch seinen steinernen Ernst wieder zu finden. “Der Verstorbene hatte einen letzten Wunsch an Sie, liebe Trauernde. Diesen verlese ich nun.”
“Ich war ein Mensch mit vielen Seiten und Interessen. Nun liegt es an euch, mich in dieser Vielfalt zu bewahren. Wir sind mehr als nur Freude und Trauer, Liebe und Hass. Vieler Facetten berauben wir uns, aus Ehrfurcht, Angst oder weil wir verzweifelt sind. Das Erhaltenswerte muss nicht ästhetisch oder interessant sein, es muss keinen Neid erzeugen oder euch vor Romantik dahinschmelzen lassen. Es darf all das und viel mehr sein. Meine größte Sehnsucht ist es, das ihr wie auch ich, neugierig dem nachgeht, was euch verwirrt und verzückt, mal in Nostalgie schwelgt und mal voller Stolz auf die Zukunft blickt. An der Kreuzung all dieser Vielfalt werden wir uns täglich begegnen.”
Ich muss schmunzeln. Selbst im Tod schafft es Opa noch, uns staunen zu lassen, uns die unermessliche Größe des Lebens spüren zu lassen.
❤️ Was für schöne Wörter von deinen Opa ❤️
Die Worte habe ich Opa in dieser Geschichte nur in den Mund gelegt – gesagt hat sie niemand 😉
Vielen Dank für das schöne Kommentar ❤️
Ein sehr ergreifender Text! Hab Tränen in den Augen – echt schön geschrieben!
Danke ❤️
So einen mutigen Opa kann man sich nur wünschen, oder ist es mehr die Oma, die das alles durchgesetzt hat. Egal, beide zusammen bieten die Vorstellung die das Auditorium berührt.
Eine sehr schöne Innenansicht des Autors.